Theologie in der Diaspora: Das "Forum Junge Theologie" startet in Erfurt

Veranstaltungen , Forschung & Wissenschaft
Posterpräsentation zum "Dissertationsprojekt Erlösung des Selbst" von Dominique-Marcel Kosack im Gespräch mit weiteren Doktorand*innen

Am 29. Juni trafen sich rund 30 Promovierende der katholischen, evangelischen und jüdischen Theologie aus Ostdeutschland in Erfurt, um einen ganzen Tag lang die besonderen Chancen theologischer Forschung in der religiösen Diaspora zu diskutieren, die eigenen Promotionsprojekte vorzustellen und sich miteinander auszutauschen. Es handelte sich um die Auftaktveranstaltung des “Forum Junge Theologie”, das – von Angehörigen der theologischen Institute und Fakultäten an den Universitäten ErfurtJenaLeipzigHalle und Dresden ins Leben gerufen – künftig im Jahrestakt stattfinden und eine Plattform für fachliche Diskussion, Unterstützung und Vernetzung auf Promotionsebene bieten wird.

von Prof. Dr. Julia Knop

Theologie in der Diaspora

Ein wichtiges Qualitätsmerkmal und verbindendes Moment theologischer Lehre und Forschung in Ostdeutschland ist es, “sich der umgebenden nicht-christlichen oder vielleicht besser konfessionslosen Gesellschaft bewusst sein zu müssen, wenn man nicht in der Sicherheit des Elfenbeinturms oder im wissenschaftlichen Ghetto leben möchte” (Benedikt Kranemann, Liturgiewissenschaftler und Vizepräsident der Universität Erfurt). Papst Franziskus lud in seiner Apostolischen Konstitution “Veritatis Gaudium” (8. Dezember 2017) dazu ein, Theologie als “eine Art … kulturelles Laboratorium” (Nr. 3) zu verstehen und zu betreiben.

Genau dies wird an den verschiedenen theologischen Standorten in Ostdeutschland selbstverständlich und selbstbewusst realisiert: Universitäre Theologie in der Diaspora ist säkularitäts­erfahren, pluralitätssensibel und kommunikativ, stark in wissenschaftstheoretischer Grundlagenarbeit und in Übersetzungsfragen. Sie weiß um die Nichtselbstverständlichkeit und Kontextualität des Glaubens, den sie reflektiert, und geht nicht einfach davon aus, dass alle Welt sie per se für bedeutsam halte. Sie ist von Grund auf ökumenisch. In einer religiösen Diaspora verbindet der gemeinsame christliche Gottesglaube weit mehr als konfessionelle Differenzen (oder was man dafür hält) zu trennen vermögen; dieses Bewusstsein prägt die Bereitschaft zu intensiver Kooperation auf inhaltlicher wie organisatorischer Ebene.

Theologie in Deutschland braucht Theologien in der Diaspora

Theologien in der Diaspora sind nicht nur Theologien für die Diaspora, sondern Theologien aus der Diaspora. Sie bilden nicht einfach den quantitativen Ausbildungsbedarf der Kirchen und Schulen ihrer Region ab. Theologie in der Diaspora zu betreiben bedeutet, die besonderen Herausforderungen und Chancen akademischer Theologie in einer Minderheitensituation zu erkennen, aufzugreifen und fruchtbar zu machen. Das könnten selbst die großen Fakultäten West- und Süddeutschlands nicht leisten. Denn theologische Forschung in der Diaspora reflektiert aus unmittelbarer Erfahrung die spezifischen Kontexte und Bedingungsfelder dieser religiösen Situation und speist sie in die akademische, gesellschaftliche und kirchliche Debatte um Religion ein.

Davon wiederum kann kirchliche Ausbildung nur profitieren: Wer in einem Diasporabistum in den kirchlichen Dienst treten will, tut gut daran, sich dieser Situation von Beginn seines Studiums an auszusetzen und ihre Reflexion innerhalb dieses besonderen “kulturellen Laboratoriums” (Papst Franziskus) der Theologie einzuüben, statt sich in einen vermeintlich heilen (volks-)kirchlichen Binnenraum zurückzuziehen. Die religiöse Minderheitensituation, die in Mittel- und Ostdeutschland seit zwei oder drei Generationen an der Tagesordnung ist, mag in anderen Landesteilen erst Zukunftsmusik sein, zumal die Ursachen verschärfter Säkularisierung hier wie dort recht unterschiedlich sind. Doch erschallen auch in Regionen, in denen die institutionelle, personelle und ökonomische Situation der Kirchen noch volkskirchliche Erinnerungen weckt, bereits die Klänge und Harmonien dieser Zukunft. Wer Ohren hat zu hören, der hört sie längst auch im Westen.

Das FORUM JUNGE THEOLOGIE vernetzt theologische Promovierende aus Ostdeutschland

Die rund 30 Doktorandinnen und Doktoranden der katholischen, evangelischen und jüdischen Theologien aus Ostdeutschland, die sich am 29. Juni in Erfurt zur Auftaktveranstaltung des “Forum Junge Theologie” trafen, bestätigten jedenfalls einmütig, dass Theologie hierzulande etwas Besonderes ist. Die Diaspora-Situation prägt die eigene Theologie. Sie beeinflusst die Wahl der Forschungsthemen und nicht minder die theologische Hermeneutik, mit der sie bearbeitet werden. Die Promovierenden des Erfurter Theologischen Forschungskollegs und der weiteren vertretenen theologischen Institutionen schilderten die Diaspora dabei durchweg eher als Chance denn als Problem.

Der Grund: Die Minderheitensituation fordert dazu heraus, die eigene Rolle als Theologin oder Theologe zu klären und die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz und Übersetzung religiöser Fragen ins Zentrum der eigenen Arbeit zu stellen. Schulinterne Debatten und Dissertationen, die vor allem aus Loyalität zum Promotionsbetreuer entstehen, sowie im schlechten Sinne zweckfreie Spezialforschung, gibt es hier kaum, stattdessen ein hohes Maß an interdisziplinärer Vernetzung (zum Beispiel mit der Religionssoziologie und den Kulturwissenschaften), die die Arbeiten sowohl in inhaltlicher als auch in methodischer Sicht weiterbringt.

Posterpräsentationen, Pecha Kucha und Workshops

Mit Hilfe von fachgruppenspezifischen Workshops, Posterpräsentationen und unterhaltsamen, ungewohnten Formaten wissenschaftlicher Selbstpräsentation (Pecha Kucha: 20 Folien à 20 Sekunden) wurde ein illustres Panorama aktueller Promotionsthemen sichtbar. An den Postern, mit denen die jungen Forscherinnen und Forscher ihre Projekte vorstellten, entstanden intensive Gespräche, wurden über die Fach- und Konfessionsgrenzen hinweg Kontakte angebahnt und kollegiale Hinweise gegeben. Es war eine im Promotionsalltag seltene Gelegenheit, so viele fachkundige und thematisch interessierte Gesprächspartner zu finden und eine tragfähige Gesprächsbasis zu erleben.

Deutlich wurde: Die Minderheitensituation schwächt Theologie nicht. Ganz im Gegenteil: Sie kann Kreativität und Kommunikation enorm befördern und setzt Themen und Fragestellungen frei, die in religiös gesättigten Regionen (noch) gar nicht zutage treten. Dazu trägt ganz wesentlich der institutionelle Ort der Theologien an staatlichen Universitäten und damit ihre Teilnahme am öffentlichen akademischen Diskurs bei. Die Universität schützt verlässlich vor der Gefahr einer “splendid isolation”, in die die theologische Wissenschaft an Institutionen in kirchlicher oder Ordensträgerschaft rasch geraten kann. Selbst die an Stellen und Finanzen vergleichsweise schwach ausgestatteten kleineren theologischen Institute profitieren von der Notwendigkeit, ihre Forschung in einem größeren geisteswissenschaftlichen Kontext, etwa in einer philosophischen Fakultät, zu präsentieren und mit einem Dr. phil. zertifizieren zu können. Manches stellt sich hier eben anders dar.

Politologe Klaus Dicke: Theologie braucht Universität und Universität braucht Theologie

Klaus Dicke, Prof. em. für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und bis 2014 deren Rektor, hatte das FORUM JUNGE THEOLOGIE mit einem Vortrag eröffnet. Er hob eigens die wechselseitige Verwiesenheit von Universität und Theologie hervor. Die konfessionsbezogenen Theologien profitierten von ihrer universitären Verankerung, die ihnen die Bedingungen und Möglichkeiten des akademischen Diskurses öffne und Strukturen interdisziplinärer Verschränkung biete. Im geisteswissenschaftlichen Kontext einer Universität habe eine theologische Heuristik des Welterlebens ihren genuinen Ort. Die institutionelle Stabilität der “Gelehrtenrepublik” mit ihren methodischen Standards, ihrer kompetitiven Logik und internationalen Vernetzung befördere ihre stete wissenschaftliche Weiterentwicklung. 

Die Theologien wiederum seien Biotope akademischer Schlüsselqualifikationen, von denen die Universitäten leben: Theologinnen und Theologen arbeiten ab ovo mit einer Vielfalt von Methoden, Fragestellungen und Gegenständen. Pluralitätssensible Rede und Argumentation sowie internationale Weite sind schon aufgrund der konfessionellen Spezifik der Theologie ständige Begleiter: Christliche Theologie gibt es nur im Plural verschiedener konfessioneller Traditionen, die wiederum in der ganzen Welt verbreitet sind. Jenseits reiner Konstruktivität und akademischer Selbstbezogenheit weiß man in den theologischen Wissenschaften darum, dass belastbare Erkenntnis und akademische Zivilisation unverfügbar sind. Theologie schult den Blick für die nötige historische Vergewisserung jeglicher Weltgestaltung. Sie ist, so Dicke, diejenige Disziplin, die in besonderer Weise den Geist einer (ideologie-)kritischen Unterscheidung in der Wahrnehmung und Begleitung gesellschaftlicher Entwicklung kultivieren könne.

Seine Ermutigung zu anspruchsvoller, selbstbewusster, ökumenischer, geschichtsbewusster und gegenwartsbezogener theologischer Forschung an ostdeutschen Universitäten fand in den Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftern aus Erfurt, Jena, Leipzig, Halle und Dresden engagierte Zuhörerinnen und Zuhörer. Angesichts ihrer Forschungen und Persönlichkeiten muss man die Zukunft von Theologie und Kirche wirklich nicht fürchten.


Fotos: Dr. Sebastian Holzbrecher

Hauptreferent Prof. Dr. Klaus Dicke
Doktorand*innen im Gespräch
Doktorand*innen im Gespräch
Posterpräsentation in der Kunigundenhalle